Sanary sur Mer ist ein äusserst reizvolles Städtchen mit authentischem Ortskern an der Cote d'Azur , dessen Hafenskyline vom trutzigen ‚Hotel de la Tour‘ in dessen Mitte der mittelalterliche Turm prangert, beherrscht wird. Früher zur Verteidung der Rade errichtet, beherbergt er heute das Museum das sich der Geschichte des Tauchens widmet. Im 1898 eröffneten Hotel stiegen in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts viele Exilanten der intellektuellen Szene ab, einige blieben nur eine Nacht, andere quartierten sich für längere Zeit ein.

Direkt an der Uferpromenade gelegen, schaukeln bei aufgehender Morgensonne im Hafen die kleinen Fischerboote vor sich hin. Nichts lässt hier erahnen, dass hier im Sommer Touristenschwärmen wie Ameisen einfallen. Fischer flicken ihre Netze, der Fang wird eingebracht und am Markt zum Verkauf feilgeboten, alte Männer halten ein Schwätzchen und geniessen auf den Parkbänkchen der proper gefegten Promenade die ersten Sonnenstrahlen. Nahe dem ‚Office de Tourism‘ klacken im Hintergrund am Bouleplatz die ersten Petanquekugeln und aus der Patisserie steigt mir der süße Duft von frischgebackenen Baguettes und Tartes entgegen.

Die vorgelagerten Inseln blitzen mir in der Morgensonne entgegen und bilden einen Fixpunkt der den sonst, beinahe nahtlosen Übergang des Blau des Meeres und dem des Himmels, markiert . Im Zentrum liegt die Ile des Embiez , im Besitz des Pastisfabrikanten Paul Ricard , der hier ein pseudoprovencalische Feriendorf errichten ließ. Links davon die große und kleine Ile de Gaou, die durch eine Fußgängerbrücke mit dem Festland verbunden sind. Am Wochende rücken hier Heerscharen bewaffnet mit Picknickkörben an, und es wird im Schutz der windverdrehten, schattenspendenden Pinien getafelt dass sich die Tische biegen.

 

Am Hafen treffe ich auf Monsieur Robert, der mir schon strahlend entgegenwinkt, um ein kurzes Schwätzchen am Rande des trubeligen Marktes halten, bevor er auf seinen Krückendurch die engen Gassen nach Hause humpelt. 88 sei er diese Woche geworden erzählt er mir, sein Körper schmerze aufgrund der starken Athritis, aber bloss niemals aufgebensei sein Motto. Aufgebrezelt mit Hut, rosarotem Hemd und Designeranzug liebt er es seine Geschichten von früher zu erzählen, als er noch seinen Frisiersalon in Paris an der Place de Vendôme betrieb , in dem sich Models und Persönlichkeiten wie Mitterrand die Klinke in die Hand gaben. Jaaaa, die Damen, und ein Glitzern der Augen erstrahlt in seinem faltenzerknittertes Gesicht, verliebt sei er oft gewesen gesteht er mit einem verschmitzten Lächeln. So, jetzt müsse er aber nach Hause, seine Frau warte flötet er mir zu , klemmt flugs seine Krücken unter die Achseln, drapiert den Plastikbeutel mit den Baguettes um den Gehbehelf und verabschiedet sich mit einem strahlenden „ Je vous souhaite le meilleur jour dans votre vie, madame " und stöckelt von dannen.

 

Die Cafès am Hafen wie das ‚La Marine‘ , im ‚Lyon‘ und des ‚La Nautique‘ sind die Kaffeehausstühle ganz in französicher Manier, wie durch ein unsichtbares Lineal aufgefädelt. in den ersten morgentlichen Strahlen der Wintersonne schlürfen Einheimische, eingepackt in dicke Daunenmäntel, ihren ‚Café au lait‘. Spürbar ist die Tranquillité hier im Midi, sie überfällt mich wie ein plötzlicher Virus und ich fühle mich augenblicklich bemüßigt selbst einen Gang runterzuschalten.Ich lasse mich in einen der Kaffeehausstühle fallen, ordere einen Café und lasse die stimmige Kulisse an mir vorbeiziehen. Geschichte wurde in diesen Bars schon geschrieben, zumal zwischen 1930 und 1944 deutsche und österreichische Intellektuelle diesen Flecken Erde als Exil wählten.

Schon 1907 hatte Moise Kiesling die Provence entdeckt und sich in Sanary verliebt. Ihm folgte das befreundete Ehepaar Salmon, das schon vor Ausbruch des ersten Weltkrieges die westliche Cote d‘Azur als seine Heimat erwählte. In den 20er Jahren strömten Künstler aller Herren Länder in die Region und um Aldous Huxley bildete sich eine englische Kolonie. Einige von ihnen erregten den Unmut der Bevölkerung weil sie hinter verschlossenen Türen Abendgesellschaften organisierten und wurden vom Bürgermeister des Ortes verwiesen.

Nachdem Lion und Marta Feuchtwanger 1933 Sanary als Wohnsitz gewählt hatten, bildete sich eine wahre intellektuelle Flüchtlingskolonie des „Reichs" um sie herum. Die Feuchtwanger residierten in der Villa Valmer, wo sie unter anderem von Toller und Brecht besucht wurden, bis sie, wie auch so viele andere interniert wurden. Lion im Lager Les Milles 1939 und Marta im Lager Gurs. Lion entkam als Frau verkleidet und Marta wurde aufgrund von Kontakten freigelassen. Schliesslich konnten beide in die USA emigrieren. Unter anderem zog es Zelebritäten wie Heinrich und Thomas Mann, René Schickele, Julius und Anne-Marie Meier-Graefe, Arnold Zweig, Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel, Alfred Kerr, Hermann Kesten, Friedrich Wolf, Wilhelm Herzog, Rudolf Leonhard, Robert Neumann, Balder Olden, Willi Bredel, Franz Hessel, Alfred Kantorowicz, Ludwig Marcuse u.a. ins Exil der Côte d‘Azur.

Die, bei den besten Schneidern von Wien und Berlin gefertigten Tücher, waren viel zu warm für die südliche Sonne und nachdem klar wurde dass der Aufenthalt hier nicht bloß vorübergehend sein würde, sah man sich nach einer standesgemässen Bleibe um. Wer kein eigenes Dach über dem Kopf hatte, stieg im Hotel de la Tour ab. In der ‚Bar de la Marine‘ und im ‚Chez Schwob‘ (das heutige La Nautique) hielten die Intellektuellen Hof, diskutierten über Goethe und Schiller, schrieben, und wähnten wie lange der Spuk zu Hause wohl noch dauern würde. Brecht seinerseits trällerte am Tresen der ‚Marine‘ mit Inbrunst antifaschistische Lieder. Der reich bebilderte Taschenbuchführer „Sur les pas des Allemands et des Autrichiens en exil à Sanary 1933-1945" der im Office de Tourism um 3 Euro erhältlich ist, widmet sich ausführlich diesem Thema und beinhaltet zudem einen Plan der Wirkungsstätten.

 

Mittlerweile sind einige Monate ins Land gezogen, es ist Frühjahr geworden, ich habe mein Domizil näher ans Wasser verlegt, und bei der morgentlichen Promenade treffe ich auf bekannte Gesichter, die mir munter ein ‚Bonjour Madame, ca va‘ entgegenschmettern. Ja, freundlich und offen sind sie hier die Menschen im Midi, man bemüht man sich sogar, ob des starken Accent des Midi, in einem einigermassen verständlichen französisch mit mir zu kommunizieren. Einzig, das in die Länge gezogene OUIIIII , das sich anhört als ob ein Wiener raunzert ‚au WEEEHHHHH‘ sagt, bringe ich noch einigermassen authentisch und akzentfrei rüber. Unter Fischern höre ich noch öfter dass hier provencal gesprochen wird, wo mein schulfranzösisch die gleiche Wirksamkeit hat, als ob ich chinesisch gelernt hätte.

 

Sehr südländisch geht es mittwochs am Wochenmarkt mit seinen bunten Marktständchen her. Es klappert und scheppert wenn der Händler für Hausrat seine Töpfe und Pfannen, zwischen Schöpflöffel und elektrischem Messer, in den Blickpunkt des Interesses rückt. Und mit fester lauter Stimme ‚Poeeeelee, promotion‘ ruft. Daneben raspelt, hobelt, schnippelt ein neumodisches Küchengerät Gurken, Radieschen, Kartotten, bis sich ein bunter Haufen jeder Gemüsesorte angehäuft hat. Ich frage mich, wenn der Typ in diesem Tempo weiterschnippelt, was er wohl mit soviel zerkleinerten Gemüse anstellen wird?! Die Kitschläden im Hintergrund öffnen geräuschvoll ihre Rollläden und holen eifrig ihre Ware aus dem Versteck - mit ihren überladenen Angebot an allem was Mensch nicht braucht und trotzdem kauft. Der betörenden Duft provencalischer Gewürze steigt mir in die Nase und aus der anderen Richtung weht ein sanfter Duft von Gebratenem des Traiteurs, daneben fangfrischer Fisch .

Eine unvergleichliche Mélange an mediterranem Mischmasch und Savoir Vivre durchströmt den Marktplatz. Hetze hat hier niemand, was heute nicht erledigt werden kann, dann vielleicht morgen, oder nächste Woche .....